Corona-Demos - ein Interview mit Henri
Der Veranstalter einer Corona-Demo gibt uns Auskunft über seine Motive und Positionen.
Zur Berichterstattung und der Verantwortung von Medien in unserer Gesellschaft am Beispiel einer Meldung von Focus-Online vom 10. Mai 2015
Was ist objektiver Journalismus?
Vermutlich ein Oxymoron. Denn: Journalismus ist menschengemacht und somit zwangsläufig subjektiv. Sicherlich mit graduellen Unterschieden, etwa ob Haltung und Motive des Autors lediglich sprachlich zu Tage treten oder eindeutig den Inhalt eines Artikels ausmachen. Ersteres erscheint mir im oben verlinkten Beispiel der Fall zu sein. Der Artikel thematisiert eine Todesmeldung und unterrichtet über die Aufnahme von Ermittlungen wegen Mordes. Weiter wird der vermutliche Hergang der Tat geschildert. Es habe einen Streit zwischen einem mutmaßlichen Pärchen - Mann und Frau - gegeben. Das spätere Todesopfer - ein Mann - sei der Frau mutmaßlich zu Hilfe gekommen und wurde vermutlich deshalb von ihrem Freund erstochen. Auffällig ist dabei für mich - neben der Erwähnung der Geschlechter - die ausdrückliche Erwähnung der Nationalität des Opfers: Der mutmaßliche „Retter“ sei polnischer Staatsangehöriger gewesen. Dagegen wird auf weitere Hinweise verzichtet. Weder auf die äußere Umgebung wird Bezug genommen, noch auf die Tatzeit oder die möglichen Umstände der Tat mit der Ausnahme, dass sich der Täter und das Opfer wahrscheinlich nicht kannten. Es handelt sich daher für mich um eine selektive Darstellung von Tatsachenmaterial, das dem Leser eigentlich ermöglichen soll, sich über einen Vorgang zu informieren, sich darüber hinaus eine Vorstellung von den Geschehnissen zu bilden - und eine Meinung. Letzteres finde ich interessant. Natürlich dient Berichterstattung maßgeblich dazu, der interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Meinungsbildung zu geben. Ohne die Vermittlung von Faktenwissen wäre das völlig unmöglich.
Aber wann sind Berichte überhaupt geeignet, eine unvoreingenommene Meinungsbildung zuzulassen? Welche Informationen sind dabei nötig und welche hinderlich?
Um diese Frage zu diskutieren, möchte ich für mich zwischen drei Dimensionen von Informationen unterscheiden.
Die epische Dimension:
Das sind für mich alle Informationen, die Teil der Schilderung einer Situation sein können. Je mehr Details beschrieben werden, umso einfacher fällt es dem Leser, sich ein genaues Bild von der Situation zu machen. Frau Kareen von Creme wies zurecht darauf hin, dass dazu auch Angaben zur Haarfarbe der Beteiligten oder zu deren Schuhgröße zählen, denn ein Bericht soll eben so gut wie möglich „berichten“ im Sinne von „eine Geschichte erzählen“. Nur Informationen, die gänzlich ohne jeden Bezug zur Sache oder aufgrund ihrer Beiläufigkeit ablenkend sind, fallen aus dieser Kategorie heraus.
Die juristische Dimension:
Gerade wenn es um Straftaten geht ist eine Darstellung der juristisch beachtlichen Aspekte relevant. Etwa: Wie viele Personen waren beteiligt? War es Vorsatz? Wurde im Affekt gehandelt oder war die Tat geplant? Sind besondere subjektive Motive erkennbar? Diente die Tat zum Beispiel dazu, eine andere zu ermöglichen oder zu vertuschen? Gab es Tatwerkzeuge? etc. etc.
Die unterhaltsame Dimension:
Das sind für mich Informationen, die einen Artikel lesenswert machen, auch wenn sie nicht unbedingt zur Schilderung einer Situation wichtig oder juristisch relevant sind. Das wären zum Beispiel kleinere Anekdoten aus dem Leben der Beteiligten, Reaktionen anderer Personen, Spekulationen über die mittelbaren Ursachen und mögliche Folgen, aber auch intime Details zu den Beteiligten. Diese Dimension steigert aus meiner Sicht besonders die Auflage „der Zeitung mit den großen Buchstaben“, weil damit auch unsachliche Zusammenhänge hergestellt und Emotionen erzeugt werden können. Erst diese Ebene macht aus einer Meldung eine „Sensation“.
Wie lassen sich Hinweise auf die Nationaliät von Beteiligten demnach einordnen?
Gerade das Thema „Nationalität“ ist für die Menschen höchst brisant, was ich aus meiner aktuellen Tätigkeit als Briefeschreiber in einem Verfassungsorgan weiß. Scheinbar besteht deshalb unter „seriösen“ Zeitungen ein unausgesprochener Konsens, die Nationalität von Tätern nicht zu benennen. Ich weiß nicht genau, woran das liegt. Verschwiegenheit von Medien liegt nicht unbedingt in ihrem Naturell. Ich sehe aber eine Parallele zu Berichten über Selbstmorde. Über den genauen Hergang und die Motive des Opfers wird in diesen Fällen nicht berichtet, um Nachahmern keine Inspiration oder Anleitung zu liefern.
Will man durch das Verschweigen der Nationalität in der Berichterstattung also etwa fremdenfeindlichen Reaktionen vorbeugen? Und soll die Nennung der polnischen Nationalität des Opfers in dem besagten Artikel womöglich Solidarität mit Ausländern hervorrufen oder Vorurteile entkräften?
Ich weiß aus eigener Erfahrung zu berichten, dass jedenfalls Vorurteilen gegenüber Ausländern durch einen Verzicht auf die Nennung der Nationalität nicht beizukommen ist - ganz im Gegenteil. Viele Menschen reagieren darauf erstaunt bis verärgert und vermuten sogar eine Verschwörung der Zeitungsverleger: In Wirklichkeit könne es sich ja nur um Ausländer handeln, die Zeitungen aber wollten es uns nur nicht sagen.
Juristisch betrachtet ist die Nationalität von Tätern für einen strafrechtlichen Sachverhalt dagegen - abgesehen von Zuständigkeitsfragen - ohne jede Bedeutung. Für alle Menschen gilt in Deutschland selbstverständlich das gleiche Strafrecht. Auch sozialogisch herrscht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Abstammung und Kriminalität nicht angenommen werden kann. Vielmehr seien Gründe für strafbares Verhalten insbesondere in der sozialen Herkunft zu suchen.
Aus der Perspektive des Erzählers kann ein Hinweis auf die Nationalität von Täter und Opfer dagegen sicherlich nützlich sein, da die Fantasie von Lesern dadurch angeregt wird. Zweifellos ist diese Angabe auch besonders unterhaltsam, eben weil Emotionen, Erwartungen und Vorurteile mit der Nationalität verknüpft sind. Auf Ressentiments und positive Assoziationen mit bestimmten Nationalitäten anzuspielen, macht einem Bericht aber vor allem leicht verständlich. Man erspart sich Ausführungen über den Charakter, familiäre Verhältnisse, teilweise ja sogar über den Werdegang und die berufliche Tätigkeit einer Person, weil wir das alles durch unsere Erwartungen und Vorurteile ergänzen können. Aber gerade das ist eben nicht nur moralisch brisant und keineswegs informativ, sondern spätestens in unserer heutigen Zeit auch höchst politisch. Zuletzt erzählte mir ein promovierender Historiker und Touristenführer von seinem Leid mit Führungen durch die russische Kolonie „Alexandrowka“ in Potsdam. Viele der Teilnehmer hätten heute sehr extreme Assoziationen mit Russland. Seine Expertise als Reiseführer und vor allem seine Meinungsfreiheit würden dadurch vielfach nicht mehr gebührend anerkannt. Bei kritischen wie lobenden Äußerungen seien Diskussionen oftmals nicht mehr möglich. Stattdessen sehe er sich den Anfeindungen sowohl von Gegnern als auch Befürwortern der aktuellen Politik ausgesetzt und es würden pauschalisierende Rückschlüsse auf seine eigene politische Haltung gezogen.
Persönlich halte ich Angaben in der Berichterstattung dann für unseriös bzw. journalistisch inkorrekt, wenn sie dazu einladen, vermeintlich absolute Wahrheiten vorauszusetzen oder zu verallgemeinern. Dazu zählt für mich auch die Nationalität, jedenfalls in Berichten über Straftaten, gerade weil ein sachlicher Zusammenhang dort nicht besteht. Insofern müsste man also von Journalisten und Verlagen fordern, auf diese Angaben zu verzichten.
Auf der anderen Seite bezweifele ich ernsthaft, dass die Presse verpflichtet sein soll, auf bestimmte Angaben zu verzichten, um die Bevölkerung darüber bewusst im Unklaren zu lassen. Schließlich hat sie einen Informationsauftrag. Im Falle der öffentlich-rechtlichen Sender entrichten wir dafür sogar Beiträge. Der freiheitliche Staat garantiert zudem eine umfangreiche Pressefreiheit, woraus sich aus meiner Sicht eine besondere Pflicht für Journalisten ableitet, diese Freiheit auch zu nutzen. Das ist im weitesten Sinne nur zum Wohle unserer Demokratie und des demokratischen Staates, der die Rechte von Minderheiten schützt, gegen die sich Vorurteile richten. Die journalistische Freiheit endet juristisch gesehen beim Jugendschutz sowie bei Beleidigungen und sonstigen Verstößen gegen die Ehre von Menschen. Für solche jedoch gelten hohe Hürden, die durch die Angabe der Nationalität noch nicht erreicht werden.
Trotzdem kann kaum bestritten werden, dass es Journalisten durchaus als ihre Pflicht gegenüber der Gesellschaft verstehen sollten, sorgfältig und verantwortungsvoll zu berichten...
Nach einer Abwägung gelange ich zu dem Ergebnis, dass die Angabe der Nationalität jedenfalls nicht notwendig ist, weil sie in erster Linie der Unterhaltung dient (s.o.). Dafür halte ich es für viel wichtiger, dass Berichterstattung vollständig ist. Das heißt für mich, dass alle wesentlichen Informationen enthalten sein müssen, die man braucht, um sich ein unvoreingenommenes Bild zu machen. In dem beschriebenen Fall hätte ich zum Beispiel gerne gewusst, zu welcher Tageszeit die Tat stattfand und ob Opfer oder Täter möglicherweise betrunken waren. Auch wissenschaftliche Daten wären sinnvoll. Etwa, ob in dieser Gegend viele Straftaten begangen werden oder nicht.